Der 100. Geburtstag von Joseph Beuys gibt Anlass für zahlreiche retrospektive Auseinandersetzungen mit seinem Werk. Ob sich das neu entfachte Interesse an seiner gesellschaftlich engagierten Kunstpraxis aber auch auf dem Markt widerspiegeln wird, bleibt abzuwarten
von Helmut Kronthaler
„Wie wird man revolutionär?“ Diese Frage empfängt den Besucher der Website „beuys 2021“, die das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen anlässlich des 100. Geburtstags von Joseph Beuys eingerichtet hat. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass gerade diese staatliche Institution, die ihm 1972 fristlos die Professur an der Düsseldorfer Kunstakademie gekündigt und ihn mithilfe der Polizei aus dem Amt entfernt hat, den Künstler heute als einen der bedeutendsten Vertreter deutscher zeitgenössischer Kunst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts feiert. Knapp 50 Jahre nach dem auch international auf Empörung gestoßenen Skandal widmet man dem einstigen Enfant terrible ein umfangreiches Programm an Ausstellungen, Tagungen, Performances sowie Theater- und Filmvorführungen, das anschaulich belegt, wie fragwürdig, ja absurd so manche historische politische Entscheidung und ästhetische Überzeugung mit zeitlichem Abstand erscheinen kann.
Kaum ein anderer Künstler hat die Regeln des institutionalisierten Kunstbetriebs in Deutschland so konsequent infrage gestellt wie Joseph Beuys. Nicht nur seine vielzitierte Erklärung, dass jeder Mensch ein Künstler, also ein kreatives, schöpferisches Individuum sei, sondern insbesondere seine vielfältigen, nicht selten subversiven Versuche, künstlerische Praxis und Lebensrealität miteinander in Einklang zu bringen, waren ein Affront gegen das kulturelle Establishment. Wie sehr sich das auch auf die Vermarktbarkeit seines Schaffens im Kunsthandel ausgewirkt hat, ist noch heute spürbar. Die großen, oft in Zusammenhang mit temporären Aktionen entstandenen Arbeiten und Installationen befinden sich meist im Besitz oder zumindest in der Obhut von Museen. Allein schon konservatorische Probleme oder ihre schiere Dimension machen sie für die meisten privaten Kunstsammler ohne institutionelle Anbindung unattraktiv.
Auf dem Auktionsmarkt hält somit ein für Beuys’ Verhältnisse eher kleinformatiges Werk mit einem Zuschlag bei 710 000 Pfund (alle Angaben ohne Aufgeld) den aktuellen Verkaufsrekord (Christie’s London, 11.2.2016). Die mit weißer Kreide auf eine Schultafel skizzierte Arbeit „Zeitpunkt: Das Massaker von München“ (1972) ist im Kontext mit einer das Publikum bewusst einbeziehenden Aktion im Rahmen der documenta 5 in Kassel entstanden. Das Werk stellt eine unmittelbare Auseinandersetzung mit dem Attentat palästinensischer Terroristen während der Olympischen Spiele in München dar. Auch bei der derzeit in der Rangliste der Auktionsverkäufe zweitplatzierten, für eine Million Dollar verkauften Tafelzeichnung „Chikago“ (1974) handelt es sich um das Relikt einer Aktion (Christie’s New York, 17.5.2017).
Im Segment der kleineren skulpturalen Werke markiert der in einer Auflage von vier Exemplaren hergestellte „Tisch mit Aggregat“ (1985) mit einem Verkaufserlös von 500000 Pfund den Spitzenplatz (Sotheby’s London, 26.6.2012), gefolgt von der Bronze „Bett“ (ca. 1960; 900 000 Dollar; Sotheby’s New York, 14.5.2008) und der Steinplastik „Olivestone, prototype“ (1984; 330 000 Pfund; Sotheby’s London, 7.2.2007). Nur wenig preiswerter werden Arbeiten auf Papier gehandelt, etwa ein in Gouache ausgeführter „Entwurf für Plastik“ (1961), der bei 360 000 Euro zugeschlagen worden ist (Grisebach, Berlin, 5.6.2015). Am häufigsten in Auktionen vertreten sind freilich die Multiples und druckgrafischen Blätter von Joseph Beuys. Die in einer Auflage von 180 Exemplaren verbreitete Grafik „La rivoluzione siamo Noi“ (1972), die eine Fotografie des in entschlossener Haltung dem Betrachter entgegenschreitenden Künstlers zeigt, erreicht regelmäßig Zuschläge zwischen 30 000 und 66 000 Euro. Der nicht weniger bekannte „Filzanzug“ (1970) taucht dagegen seit den 1990er-Jahren nicht mehr bei Versteigerungen auf. Man findet ihn jedoch gelegentlich im Bestand von Kunsthändlern, so zum Beispiel in der Galerie Thaddaeus Ropac, die seit 2013 im Auftrag der Witwe und der Kinder offiziell den Nachlass des Düsseldorfer Künstlers vertritt. Nicht zuletzt ihre Preispolitik wird entscheiden, ob das Beuyssche Œuvre im Jubiläumsjahr 2021 wieder stärker in den Fokus der Sammler zeitgenössischer Kunst rückt.
JOSEPH BEUYS
*1921 in Krefeld, +1986 Düsseldorf
AUSSTELLUNGEN
bis 15. August 2021: „Jeder Mensch ist ein Künstler.“ Übungen mit Joseph Beuys, K20 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf
2. Mai bis 29. August 2021: „Joseph Beuys und die Schamanen“, Museum Schloss Moyland, Bedburg-Hau
WEBSEITE
www.beuys2021.de
GALERIEN
Thaddaeus Ropac, London / Paris / Salzburg
AUCTION RECORD IN EURO
912847 “Zeitpunkt: Das Massaker von München” (1972)
MARKTEINSCHÄTZUNG
In Auktionen aktuell zumeist nur mit Multiples und kleineren Arbeiten vertreten, verharren die Preise für das Werk von Joseph Beuys in den vergangenen Jahren auf weitgehend konstantem Niveau.