Im Museum Ludwig in Köln läuft gerade die Ausstellung “Die Grüne Moderne – Die neue Sicht auf Pflanzen” (bis 22. Januar 2023). Kunstwerke und Archivmaterial sowie Stummfilme wie “Das Blumenwunder” (1926) oder “Nosferatu” (1922) werden dort gezeigt. Sogar ein Blumenduft raumgreifend versprüht. Was das mit einer neuen Ära im Museum zu tun hat und welchen Aufgaben eine Kuratorin für Ökologie nachgeht, lesen Sie hier.
von Agnes D. Schofield
Mimosen werden müde, wenn man sie stresst. Erbsenspflanzen (und nicht nur sie) treffen in ihrem Leben sogar Entscheidungen: etwa wie sie ihr Wurzelwachstum steuern, Chancen und Risiken kalkulierend. Alle Pflanzen atmen und bewegen sich. Die Entdeckung der Pflanze als Lebewesen drang vor circa 100 Jahren ins allgemeine Bewusstsein – dank Fotografien, Mikroskopaufnahmen und solcher Filme, die im Zeitraffer zeigten, wie sich Pflanzen zum Licht hinbewegen oder schlafen, wenn sie sich verschließen.
Derart historische Dokumente hat das Museum Ludwig in Köln zu einer umfangreichen Schau aufbereitet: “Die Grüne Moderne” lautet der Titel (bis 22. Januar 2023). Kunstwerke, Postkarten, Plakate und Filme wie “Das Blumenwunder” oder “Nosferatu” werden dort gezeigt, sogar ein Blumenduft raumgreifend versprüht, verrät Kuratorin Miriam Szwast.
Sie ist Deutschlands erste Kuratorin für Ökologie (neben ihrer Funktion als “historische Fotokuratorin”) und ihr Arbeitsplatz das “erste grüne Museum” hierzulande. Selbstredend, dass eine Ausstellung aus dem Kontext Natur in die Agenda des Hauses gehört. Selbstredend auch, dass diese Ausstellung klimaschonend auf die Beine gestellt und das Gros der Exponate aus hauseigenen Depots stammen sollte. Aufgabe einer ökologischen Kuratorin ist es, die CO2-Emissionen des Museums zu reduzieren. Schließlich sind Museen (verglichen mit anderen Kultureinrichtungen wie etwa Theatern) Spitzenreiter im Klima-Strapazieren. Dieses Image versucht Szwast dem Haus behutsam abzustreifen. Diesmal “verzichten wir auf physische Leihgaben, aber das wird nicht in jeder Ausstellung künftig das Motto sein.”
Weniger Leihverkehr
Viel davon (recycelte Ausstellungsarchitektur, low tech, weniger Leihverkehr) gab es vor der Globalisierung schon und ohne dass Kuratoren eine besondere Ausbildung und IHK-Prüfung benötigten. Aber Museen haben sich in den letzten Jahrzehnten auf Blockbuster-Schauen und Besucherzahlen geradezu fixiert und schienen gegenüber den ständig lockenden Möglichkeiten des globalen Austauschs von Werken nicht verzichten zu können. Das soll zugunsten des Klimas ab sofort (und dort, wo möglich und sinnvoll) heruntergefahren werden. Ein neuer Stil soll ins Museum einziehen: Nachhaltigkeit. So bestimmen naturnahe Themen zunehmend die inhaltliche Agenda von Kunstinstitutionen.
Die Kunsthalle Emden hat noch vor Kurzem (bis 31. Oktober ) dem Wald zu Ehren eine Schau ausgerichtet: “Mythos Wald” lautete sie, Untertitel “Das Flüstern der Blätter”. Ausgestellt wurden u.a. Gemälde des Expressionisten Otto Müller, aber auch zeitgenössische Arbeiten wie die Fotografie “Gespensterwald” von Andreas Mühe. Zudem wurde die geheimnisvolle, sogar finstere Seite des Waldes beleuchtet – mit Mythen und Märchen. Der Wald geriet zur Projektionsfläche für Seelenzustände. Heute ist er darüber hinaus immer auch ein Politikum. Je nachdem, wie man ihn heute bewahrt oder sich daran bedient.
Das Ausstellungsthema in Köln ist mehr ein Close Up: “Es geht nicht um die Natur als großes Geflecht”, sagt Kuratorin Szwast, “sondern um die singuläre Pflanze im Topf, ob unters Mikroskop gelegt oder abgezeichnet”. Vor 100 Jahren gab es ein gesteigertes Interesse an der Form und Schönheit oder auch Skurrilität von Pflanzen. Karl Blossfeldt etwa fotografierte Pflanzen systematisch. “Er machte die Pflanze zu seinem Material”, sagt Szwast. “Seine Fotografien dienten Student:innen im Kunstgewerbe zur Vorlage, zum Beispiel um Geländer zu formen.“ Die Floristik um 1900 hatte einen noch kaltblütigerem Zugang zu jenem “Material”. Kuratorin Szwast: „Es wurden zum Beispiel Kronblätter entfernt und nur die Kolben stehen gelassen, oder Blätter aus buntem Karton mit Draht am Stängel befestigt, wenn das echte Grün mißfiel. Die Pflanze gestaltete sich dann eher zu einer Pflanzencollage.“
Koloniales Souvenir
Erst mit der Weimarer Republik kam Flieder in die Vasen – unversehrt und frei. Der Kaktus (den die Ausstellung zentral beleuchtet) zog dank der neuen großen Fenster und der Kohleheizung in die Wohnräume. Allerdings erwächst die allgemeine Faszination gegenüber dieser exotischen Pflanze keineswegs aus einer empathischen, reformatorischen oder botanisch begründeten Begeisterung: Der Kaktus war ein koloniales Souvenir. Er wurde wie eine moderne Skulptur betrachtet. Die Zimmer, in denen er stand, sollten die als Bewohner modern und weltgewandt auszeichnen (so wie Monstera heute das Hipster-Habitat besiegelt). Gerade Großstädter holten sich den Kaktus seinerzeit ins Haus. Wobei es primär die Dame des Hauses war, die ihn zu pflegen hatte: Der stets männliche Kakteenjäger hatte die Mutterpflanzen zu Pferd und mit Lasso zu besorgen. Miniaturen der großen, geraubten Kakteen konnten daraufhin in deutschen Gewächshäusern gezüchtet werden. “Mein kleiner grüner Kaktus”, der Schlager, stammt nicht umsonst aus jener Zeit.
Auch den Blick auf Gender-Themen will die Schau in diesem Zusammenhang den Besuchern nicht vorenthalten. Fotos belegen: Frauen mit burschikosem Bubi-Kopf (-Haarschnitt) tragen Blümchenkleider, egal wie emanzipiert sie sind. Und Männer lassen sich üppige Blumenkörbe auf den Rücken tätowieren. Marlene Dietrich trägt zum schlichten Anzug eine Blume im Knopfloch. Und der weltberühmte Ballett-Tänzer Vaslav Nijinsky wird in “le spectre de la rose” gänzlich zur Rose.
Und doch wird die Bewunderung gegenüber Pflanzen in Köln nicht nur süßlich erzählt: Mit dem expressionistischen Film “Nosferatu”, in den ein Doku-Fragtment von einer Fleisch-fressenden Pflanze eingeschnitten wurde, eröffnet das Horrorkabinett. “Seit Aristoteles glaubte man an den Menschen als Krone der Schöpfung.“, erklärt Szwast. „Die Verunsicherung brachten Erkenntnisse der Naturwissenschaft. Denn frisst nicht immer und unbedingt der Mensch Tiere und Pflanzen. Letztere können Tiere fressen, hatte man sich zu jener Zeit eingestehen müssen.” Die hierarchische Ordnung erst Mensch, dann Tier, dann Pflanze, geriet aus den Fugen. “Die Anerkennung dieser Tatsache in der westlichen Botanik kam mit Charles Darwins Schrift „Insectenfressende Pflanzen“ von 1875”.
Erschreckender wirkt auf uns heute wohl die Information über die 2000 Toten während einer Detonation bei BASF in Ludwigshafen im Jahr 1921. Experimente zur Herstellung von Kunstdünger waren die Ursache, lernt man in dieser Schau. Ebenso dass die Frage, wie ernähren wir die wachsende Weltbevölkerung, seinerzeit schon dringlich war. Fünf Jahre später kommt der Film “Das Blumenwunder” in die Kinos, der die Zuschauer an Pflanzen heranführen und emotional berühren sollte. Und der mithilfe von BASF produziert wurde. Pflanzen werden darin als Lebewesen präsentiert. BASF, der Pflanzenversteher? Schon damals konnte man sein image grün-waschen.
Ein Jahrhundert später führt die Empathie gegenüber Pflanzen zur Frage: Brauchen Pflanzen Rechte? Ein Bereich der Ausstellung, der in die Zukunft blickt. Tja, was meinen Sie?
Mehr Infos unter museum-ludwig.de