Mark Rothkos 50. Todestag – Philosoph mit Pfeil und Bogen

2020-11-24T09:45:12+01:00collecting|

Vor 50 Jahren nahm sich Mark Rothko (1903-1970) auf schreckliche Weise das Leben. Er zählt zu den Hauptvertretern des abstrakten Expressionismus. Weil die Versicherungssummen für seine Kunst horrend hoch sind, widmet ihm kein deutsches Museum heuer eine Retrospektive.

Am 25. Februar 1970 findet sein Assistent Oliver Steindecker den Maler Mark Rothko tot auf dem Küchenboden. Er liegt mit durchgeschnittenen Pulsadern – und wie man später herausfinden wird, vollgepumpt mit Beruhigungsmitteln – in einer Blutlache von zwei mal zwei Metern. Ein erschreckendes Bild, das auf makabre Weise an Rothkos Leinwände erinnert, die ebenfalls großflächig, farbintensiv und für viele ein schockierender Anblick waren – zumindest in den Fünfzigern.

Mark Rothko (eigentlich Markus Yakovlevich Rothkowitz) wird 1903 in Daugavpils (heute Lettland, damals russisches Kaiserreich) in eine Apothekerfamilie hineingeboren. Er besucht eine traditionelle jüdische Grundschule, spricht jiddisch, hebräisch, russisch, ist ein begabtes Kind. 1910 wandert der Vater wegen der zunehmenden Pogrome in die USA aus, und die Familie zieht drei jahre später hinterher. Auch in Amerika macht Markus steile Karriereschritte: Er überspringt Klassen und bekommt ein Stipendium an der Elite-Universität in Yale, wo er Geschichte und Volkswirtschaft studiert. Doch sein Studium beenden wird er nicht. Nach zwei Jahren bricht er mit den elitären (rassistischen) Strukturen und geht nach New York, wo er Kunst studiert, Bücher illustriert und vor allem: sich für Kunsterziehung engagiert. Innerhalb der „New York School“ entwickelt er mit seinen Mitstreitern großartige richtungsweisende Konzepte, die alle von der Überzeugung ausgehen, dass Kunst eine soziale Notwendigkeit sei und die frühe kreative Ausdrucksweise gesundheitsfördernd.

Damals (in den Dreißigern) verdient Rothko mit seinen Bildern noch nicht die Rekordsummen, die sie heute erzielen. Erst in den 1950ern schafft er den Sprung in den Olymp. Seine berühmten Riesenformate mit den zwei bis drei horizontal gestapelten Farbwolken entstehen, als er sich mit der Bibel und Mythologie, mit der Weite Amerikas und des menschlichen Geistes beschäftigt.

Rothko heißt seit 1940 nicht mehr Rothkowitz und ist seit 1938 amerikanischer Staatsbürger. Doch alles Figurativ-Amerikanische in der Kunst lehnt er ab. Und plötzlich hat er Erfolg bei den Amerikanern.

In Europa ehrt ihn zum 50. Jahrestag seines Todes kein einziges Museum. Kein Wunder: Die meisten seiner ikonischen Werke sind in Privatbesitz, und die Sammler verleihen ihre Trophys selten und nur gegen exorbitant hohe Versicherungssummen. In Deutschland fanden in den letzten 50 Jahren wenig große Einzelausstellungen zu Ehren des Malers statt (1971 in Berlin, 1988 in Köln, 2008 in München und Hamburg). Die Entfernung zu den meist in den USA sich befindenden Schlüsselwerken ist oft Knackpunkt der Kontraktion zwischen Sammlern, Museen und Versicherern. Außerdem sieht manch ein US-Sammler in Europa mehr Gefahren für Angriffe aus benachbarten Konflikten. Kurzum: Viele Museen lassen lieber die Finger von den Colour-Field-Paintings.

Immerhin befinden sich in Deutschland fünf Hauptwerke Mark Rothkos in den permanenten Sammlungen staatlicher Institutionen. Das wohl beeindruckendste hängt in der Staatsgalerie Stuttgart. Mysteriös, aber auch mütterlich-warm strahlt dort sein „Ohne Titel“ (1962) – Rothko verzichtete für gewöhnlich auf Werkbezeichnungen.

In dem fast zwei mal zwei Meter großen Gemälde scheinen sich die zwei Farbfelder über die Grenzen des Bildes ausdehnen zu wollen, wie sich aufblasende Wolken, die vor einem dunklen Grund schweben. „Diese Möglichkeit von Eigenbewegung und Verräumlichung der Farbe erzielte Rothko dadurch, dass er die Leinwand nacheinander mit dünnen Malschichten tränkte“, erfährt der Besucher im Ausstellungskatalog. Und weiter: „Die atmosphärische Schwerelosigkeit und wie von innerem Licht erhellte Transparenz der Farben bewirken eine religiös-meditative Gestimmtheit. Rothko wollte, dass der Betrachter sich ganz in diesen ‚kontemplativen Raum‘ hineinbegebe.“

Wer sich nach Stuttgart begibt, hat also die Chance auf eine typische Rothko-Kontemplation, bei der Sammler und Liebhaber seiner Kunst so ins Schwärmen geraten. Und im Grunde reicht dazu auch ein einziges Werk des Malers aus. Man braucht keine zwanzig. Einzig: Rothko wollte nie mit Werken anderer ausgestellt werden. Am liebsten wäre ihm für jedes seiner Bilder ein eigener Raum gewesen, in den man sich dann wie in eine Kapelle zurückzieht.

Und noch etwas – das ganz gewiss – hätte dem Maler an den aktuellen Umständen in Museen nicht gefallen. Dass heute Versicherungssummen darüber bestimmen, welche Ausstellung gemacht wird. Denn auch in Stuttgart hatte man über eine Retrospektive nachgedacht, sich aber aus finanziellen Gründen von der Idee verabschiedet.

Ein bisschen mehr Einfallsreichtum zum Jahrestag seines Todes hätte man von dem einen oder anderen Museumsmacher hierzulande also erwarten dürfen – gerade da Rothko zeit seines Lebens für die innovative Kunstvermittlung viel übrig hatte. Man hätte ohne Weiteres mit Themenführungen oder Workshops seinem Tod gedenken und seine Anliegen neu anschlagen können. Indes scheint: Wenn keine Werke zu bekommen sind, gibt es kein Jubiläum zu feiern. No Picture, no story?

Aus der Pressestelle der Staatsgalerie Stuttgart heißt es: „Bei uns im Haus ist für den 50. Todestag von Mark Rothko kein Programm geplant“. Das ist schade. Denn dann, liebe Museen, solltet ihr nicht klagen über den bösen Kunstmarkt, der euch wegen der explodierenden Preise (Rothkos bisher teuerstes Kunstwerk kam für rund 80 Millionen Dollar unter den Hammer) von reichen Sammlern abhängig macht. Der euch die Arbeit erschwert, gewiss! Aber der euch lähmt bis zur Handlungsunfähigkeit? Öffentliche Institutionen könnten kreative Vermittlungsprogramme rund um ein Filetstück entwickeln, ohne auf 20 weitere Gemälde des Malers zuzugreifen. Museen, so sollte man meinen, müssten das beherrschen und privaten Sammlern damit in etwas überlegen sein.

Was, außer Geldsorgen, zeichnet nun ein Museum im 21. Jahrhundert aus? Im Monopol-Podcast zum Thema Zukunft der Kunst waren sich im Januar die Experten überraschend einig: Wichtig würden für ein Museum künftig die Menschen und Mitmach-Projekte. Weniger das Horten, mehr das Handeln. Gerade im Zuge steigender Preise am Kunstmarkt müssten sich Institutionen einem Funktionswandel gegenüber öffnen: zu Community-Centern – oder schicker – zu Cubs, in denen man sich  unterhält, bildet, seinen Horizont erweitert (und auch seinen Freundeskreis).

Rothko hätte dieser Hack gefallen. Er war schließlich selbst so vergeistigt wie umtriebig: In Yale gab er das Satire-Magazin „The Yale Saturday Evening Pest“ heraus, das die bourgeoisen Beaux verhöhnte. Rothko war ein Philosoph mit Pfeil und Bogen. Ein Intellektueller, der sich für Frauen- und Arbeiterrechte engagierte.

Am Tag seines Freitods traf der Bildzyklus „Seagram Murals“ in der Tate in London ein. Rothko hatte die Werkserie dem Londoner Museum geschenkt, statt sie dem Luxus-Restaurant Four Seasons im Seagram-Gebäude (benannt nach dem Spirituosen-Unternehmen) zu überlassen. Das Restaurant hatte die Arbeiten in Auftrag gegeben. Doch konnte sich Rothko mit dem Bestimmungsort nicht anfreunden, als er die darin sitzenden Gäste („bourgeoise Fresser“) sah. In der Tate hängen die Werke noch heute. Und tatsächlich hat man ihnen einen eigenen Raum eingerichtet.

Neben der Tate, die permanent diese Bilder ausstellt, sei eine Schau in der Geburtsstadt des Künstlers empfohlen. Mit fünf Originalen ausgestattet (davon nur einem ikonischen „Multiform“ – man muss wie gesagt nicht 20 davon betrachten) zeigt man dort frühe figurative Arbeiten des u. a. vom Surrealismus inspirierten Malers sowie rund 40 Reproduktionen. Letztere scheuen die Entscheider hierzulande wie der Teufel das Weihwasser. Aber wenn sie einer kunst-erzieherischen Sache dienen, wenn der Kontext stimmt und der Besucher zeitgleich auch in den Genuss von Originalen kommt, hätte sich Rothko deswegen bestimmt nicht im Grabe rumgedreht.

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