Textile Eleganz in Teheran um 1900

2020-11-24T09:43:22+01:00collecting|

Farbe bekennen – Textile Eleganz in Teheran um 1900 ist eine Ausstellung über Globalisierung und Gerechtigskeitssinn, einen Schweizer Konsul und einen Operntenor auf Reisen, über persische Teppiche und solche, die kaum in Museen gezeigt werden. Kurator Axel Langer erklärt warum – und weshalb er so fasziniert ist von Teheran um 1900.

Herr Langer, die Ausstellung räumt mit falschen Eindrücken auf: Schon früher gab es Globalisierung und sie war sinnvoll und gut. Warum? Und worin lag der Unterschied zu heute?

Globalisierung bedeutet ganz allgemein den Kontakt einer Kultur mit einer anderen über sehr grosse Distanzen hinweg.  Die frühesten Zeugnisse für eine frühe Form stammen sogar aus der Antike. Ein wichtiger Motor dabei war immer der Handel, wobei es meist um Luxusgüter ging.

Im Übrigen sähe unser Frühstück ohne die Globalisierung heute anders aus: den Kaffee verdanken wir den Arabern, Tee stammt aus Asien, die Porzellantasse kommt aus China, die Untertasse, um die Tasse halten zu können, ist eine türkische Erfindung und die Europäer fügten den Henkel hinzu.

Globalisierung bedeutet nicht nur den Austausch von Gütern, sondern auch von Ideen und Erfindungen. Der globale Austausch war lange ein gegenseitiges Miteinander auf derselben Augenhöhe und unter der Kontrolle der Staaten. Das hat sich im 19. Jahrhundert verändert durch den industriellen Kapitalismus, den Kolonialismus und die Hegemonialbestrebungen europäischer Nationen. Heute ist das Gefälle teilweise noch extremer geworden und die Frage nach derselben Augenhöhe noch stärker aus unserem Blickfeld verschwunden, wenn ich an die globalen Geschäfte besonders der multinationalen Firmen blicke. Sicherlich, das Thema ist sehr komplex. Es gibt dabei auch Gutes, natürlich, aber auch viel Schlechtes. Man denke da nur an unsere T-Shirts aus Bangladesh. 1890, also zu jener Zeit, von der die Ausstellung handelt, verdiente ein Teppichweber 10% des Verkaufspreises, heute erhält eine Näherin für ihre harte Arbeit unter unzumutbaren Bedingungen in Bangladesh ein Zehntel davon, also 1%! Hier muss die Gesellschaft, die Industrie und die Politik, also wir alle, aktiver, fordernder, kritischer und ehrlicher werden.

Man lernt in der Schau auch: Die Verarbeitung eines kostbaren Stoffes in industrieller Weise bedeutet keineswegs zwangsläufig mindere Qualität. Auch davon scheinen wir uns heute zu weit entfernt zu haben…

Ich würde die Beobachtung anders formulieren, wenn Sie gestatten. In der iranischen Gesellschaft – das galt übrigens auch in Europa – besass die Kleidung einen anderen Wert, sie war viel teurer und musste haltbar sein. Wenn ein Kleidungsstück aufgetragen war, wurde so viel von dem Stoff gerettet wie möglich und weiterverwendet. Man warf nichts weg, weil man es sich nicht leisten konnte. Da spielte es keine Rolle, wie das Produkt hergestellt worden war, ob industriell oder nicht.

Kommen wir zu den Exponaten: Was genau zeigen Sie dem Besucher und warum?

Zu sehen sind Männer- und Frauenkleider, gestickte Wandbehänge und Teppiche aus der Zeit zwischen 1880 und 1895. Sie wurden alle von dem Schweizer Kaufmann Emil Alpiger gekauft. Die meisten davon waren damals brandneu und ungebraucht. Dann sieht man 50 ausgewählte Reproduktionen der mehr als 500 Fotografien, die Alpiger gesammelt hat. Zusammen ergibt sich so ein Bild, wie das Leben im Iran, genauer in Teheran kurz vor 1900 ausgesehen hat.

Wir zeigen auch, welche Auswirkungen der damalige Welthandel hatte: einerseits zerstörte er fast die iranische Textilindustrie durch Maschinenwaren aus Manchester. Andererseits reagierten die Iraner, indem sie neue Motive in ihre eigenen Teppiche und Stickereien übernahmen. Auf die wirtschaftliche Abhängigkeit antworteten sie mit künstlerischer Kreativität.

Was ist das kostbarste Kleidungsstück? Welcher der wertvollste Teppich in ihrer Ausstellung? Können Sie den heutigen Wert der Stücke in etwa schätzen?

Werte historischer Stücke sind nicht zuletzt abhängig vom Markt, in unserem Fall dem Auktionshandel. Das war übrigens schon immer so. Hier ein Beispiel: Napoleon III. liess sich gegen 1860 von einem damals angesagten Künstler porträtieren. Um ihn bezahlen zu können, verkaufte der Kaiser ein kleines Schloss. Ein heutiger Käufer würde für das Bild nicht einmal seine Garage verkaufen. Dann gibt es den umgekehrten Fall, wo wir heute mehr oder sogar ein Vielfaches des ursprünglichen Preises zu zahlen bereit sind. Das ist sicherlich der Fall mit den meisten der ausgestellten Stücke. Aber das ist nur der Geldwert. Dann gibt es noch den kulturellen und historischen Wert. Aber fragen Sie mich nicht nach dem wertvollsten Stück, häufig ergibt sich ein Geldwert auch aus dem Zusammenhang, aus dem das Stück stammt, oder aufgrund der Provenienz. Das sind alles Faktoren, die mitspielen können.

Können Sie einen Wertevergleich ziehen zwischen einem klassischen persischen Teppich und der „bereinigten“ Version, die in europäischen Salons gängig war (Ziegler-Teppiche)? Jene waren ja weniger mit Mustern ausgefüllt.

Mehr oder weniger Muster hat in diesem Fall mehr mit Geschmack als mit Kosten zu tun, damals wie heute. Auch hier ist es letztlich eine Marktfrage:

Ziegler-Teppiche sind legendär und ein echter Ziegler-Teppich mit einer einwandfreien Provenienz hat seinen Wert. Global gesehen ist sein Wert im Londoner Auktionshandel aber höher als in Teheran.

Das liegt daran, dass der Ziegler-Teppich für die europäische Geschichte eine Bedeutung hat, während er in der iranischen Teppichgeschichte nur eine Fussnote ist. Wenn Sie einen Teppichhändler in Teheran fragen, der sein Geschäft in der vierten Generation führt, über immenses Wissen und ein ausgeprägtes Gefühl für Qualität verfügt, wird er den klassischen Teppich, den wir zeigen, höher bewerten.

Dass Teppiche auch privat gesammelt werden, ist nicht ungewöhnlich. Gibt es indes eine Sammlerschaft für alte kostbare Kleider? Ich stelle es mir besonders schwer vor, diese und damit auch ihren Wert zu erhalten – auch als Museum.

Ja, es gibt Sammler alter kostbarer Kleider. Sogar sehr bedeutende. Neben dem Wissen, wie solche Kleider aufzubewahren sind, trocken, vor Licht und Parasitenbefall geschützt, ist es vor allem Platz, den Sie benötigen. Teppiche kann man notfalls übereinanderlegen, auch wenn das aus konservatorisches Sicht nicht die geeignetste Methode ist, Kleider hingegen muss man in Schränken aufbewahren, entweder hängend oder in Schubladen – und auch dann Einzelstück für Einzelstück, damit sich keine Falten bilden, kein Abrieb entsteht und so weiter. Also: sehr viel Platz!

Neben Kleidern und Teppichen sichteten Sie auch Dokumente des St. Galler Kaufmanns Emil Alpiger, auf dessen Entdeckerlust und Geschäftssinn die Ausstellung beruht. Was war er für ein Mensch? Was erfährt man darin über seine Motivation, seine Natur und die Welt von damals?

Emil Alpiger wurde 1842 geboren, also noch vor der Gründung des modernen Schweizer Bundesstaates 1848. Er wuchs in einer Gegend auf, die so ärmlich wie perspektivenlos war. Also packte er seine Siebensachen und zog mit 16 in die weite Welt. Was ihn offensichtlich faszinierte, war das Reisen.

In seinen „Reisenotizen“ finden sich aufschlussreiche Stellen darüber, wie beschwerlich die tagelangen Ritte durch den Kaukasus und den Iran waren, wie er fast einmal zu Tode stürzte, welche Strapazen er auf sich nahm.

Dann zeigt er sich auch sehr begeistert über New York und die neuesten Verkehrsmittel wie eine pneumatische Eisenbahn. Aber er nahm, und das ist interessant, den Widerspruch zwischen der Modernität New Yorks und dem fast archaischen Leben in den Bergregionen des Kaukasus kommentarlos hin. Beides war sozusagen „normal“. Wichtig war ihm jedoch vor allem auch eine gute Verpflegung. Schliesslich darf man nicht vergessen, dass er mit Mitte 20 bereits einmal um die ganze Welt gereist war – und das, bevor Jules Vernes berühmter Roman auf den Markt kam, in dem er Phileas Foggs Reise um die Welt in 80 Tagen erzählte.

Alpiger hat in der zweiten Hälfte der 19. Jh. versucht, Seidenraupeneier aus dem Iran nach Europa zu schmuggeln. Und er soll sogar den ersten Welthandelskonflikt in Japan ausgelöst haben…

Ja, das ist auch eine Seite seiner Persönlichkeit. Die Schmuggelaktion beschreibt er selbst in seinen Notizen, sehr sachlich übrigens, aber eben mit einem Sinn für Abenteuer. Da er kaum Namen nennt, war es nicht ganz einfach herauszufinden, für wen er diese Aktion eigentlich durchführte. Aber es gab einen Hinweis – und das führte dann zu seinem wahrscheinlichen Auftraggeber, einem Seidenfabrikanten in Bergamo. Das führte dann weiter zu der sogenannten „Seidenraupenkrankheit“, die in den 1850er Jahren in Europa wütete und die Bergamasker Textilfabrikanten dazu veranlasste, Seidenraupeneier aus dem Osten zu beziehen. Damit hängt übrigens auch der spätere Aufenthalt Alpigers in Japan zusammen. Auch da ging es um Seidenraupeneier, die er in diesem Fall allerdings nicht bezahlen wollte. Die Geschichte endete mit einem Schlag mit dem Spazierstock, den Alpiger  einem seiner japanischen Handelspartner verpasste. Über die Affäre findet sich kein Wort in Alpigers Aufzeichnungen, aber der Fall ist in einem Protokoll des Bundesrates niedergelegt. Von daher wissen wir auch, dass der damalige Schweizer Konsul Alpiger zu einer Geldstrafe verurteilte, was die „Weltpresse“ und die Japaner damals übrigens mit Genugtuung zur Kenntnis nahmen. Der Konsul hat in eigener Verantwortung handeln müssen, er konnte sich damals noch nicht per Depesche mit Bern absprechen. Ich bewundere seinen Mut und seinen Gerechtigkeitssinn. Können Sie sich heute so etwas vorstellen bei einem der sogenannten Schiedsgerichte für Welthandelsfragen? Emil Alpiger besass im Übrigen auch sehr charmante Seiten, er war sehr gesellig und leutseelig und fand schnell einen Draht zu Leuten. Davon berichtet seine Reise mit einem Operntenor. Einen grösseren Kontrast kann man sich kaum vorstellen, aber die beiden kamen sehr gut miteinander aus und man spürt direkt, dass Alpiger für den Sänger Sympathie empfand.

Was hat Sie persönlich dazu veranlasst, diese Ausstellung möglich zu machen?

Zwei Dinge: Ich wollte zeigen, dass Wirtschaftsgeschichte und Kunstgeschichte eng verknüpft sind.

Ein persisches Frauenjäckchen ist mehr als ein ästhetisch ansprechendes, altes Objekt. Genäht aus in Handarbeit hergestelltem iranischem Druckstoff und gefüttert mit europäischem Baumwollstoff, der industriell gesponnen, gewoben und bedruckt worden war, spricht dieses Jäckchen direkt von seiner Zeit. Zum anderen interessiert mich das, was wir häufig als „Verflechtungsgeschichte“ beschreiben. In diesem Fall ging es mir um den künstlerischen Austausch, der zu persischen Teppichen führte, die dem europäischen Geschmack angepasst wurden, also die Ziegler-Teppiche, und die persischen Stickereien, die europäische Motive aufnehmen. Es ist die Zeit der Hybride. In Museen sind sie selten zu sehen, aber ich denke, es ist an der Zeit, sich näher mit ihnen zu beschäftigen.

Welche ist Ihre kostbarste und extravaganteste Kleidung, ganz privat? Besitzen Sie ein besonderes, exotisches Stück?

Extravagant und exotisch? Nein, nicht wirklich (lacht) Aber ich habe einen englischen dreiteiligen Anzug aus Prince of Wales check, den ich wunderbar finde. Der lässt sich hervorragend kombinieren – und man sieht immer fesch aus.

Denken Sie der Trend zu besonderen Stücken wird jenen zu Massen- und Billigware verdrängen?  Leider produzieren auch teure Marken in armen Ländern zu Billiglöhnen?

Nein, ich glaube nicht, auch wenn es ein schöner Gedanke wäre. Solange wir in einer Wegwerfgesellschaft leben, wird dies nicht der Fall sein – und solange Markenprodukte einen solchen Stellenwert haben? Hier müsste ein so radikaler Gesinnungswandel stattfinden …

Letzte Frage: Wie waren im 19. Jahrhundert die Produktionsbedingungen?

Schlecht, übrigens sowohl in Europa wie ausserhalb. Es war ein langer Kampf der Arbeiter und der Gewerkschaften in Europa, die Bedingungen zu verändern und zu verbessern. In Zeiten von Zeitverträgen und Minijobs hat uns die Arbeiterbewegung des späten 19. und frühen 20. Jahrhundert noch einiges zu sagen. Eine Sache hat mich aber immer erstaunt: Ein Franzose schrieb kurz vor 1850 ganz begeistert aus dem Iran. Er meinte, die iranischen Handwerker hätten es weit besser als die französischen Arbeiter. Während die Iraner jedes ihrer Stücke von Anfang bis Ende selbstbestimmt fertigen dürften, müssten die Franzosen nach dem Rhythmus der Uhren die immer gleichen Handbewegungen ausführen. Sie wären Teil einer Produktionskette, während die Iraner Herr über ihre Arbeit und Zeit wären. Das war für die Zeit doch sehr hellsichtig und kritisch.

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