Tipp der Redaktion – Wund und Wunderschön

2020-11-24T09:51:12+01:00exploring|

Erstmals sind die faszinierenden Arbeiten der Israelin Sigalit Landau in einem Museum im deutschsprachigen Raum zu sehen. In ihrer Heimat ist die Künstlerin längst ein Superstar. Grund genug, sich ihr Werk genauer anzusehen.

Ihre Arbeiten haben etwas traumhaft Tänzerisches: Das Tutu, das körperlos an einer Trapez-Stange hängt und vorsichtig aus dem Wasser gezogen wird, ist ein Paradebeispiel dafür. Sigalit Landau ist, man merkt es ihrem Werk subtil an, selbst Tänzerin. Und sie ist eine der angesagtesten Künstlerinnen in Israel.

Am 6. Juli wurde im Museum der Moderne Salzburg ihre erste museale Einzelausstellung im deutschsprachigen Raum eröffnet. Glanzlichter der Schau sind die kristallinen Salzskulpturen, die von Landau seit mehreren Jahren im Toten Meer erschaffen werden. Dafür taucht die Künstlerin zusammen mit ihrem Team Objekte wie z. B. Fischernetze, Skulpturen aus Stacheldraht, aber auch Violinen, Schuhe, Kinderfahrräder über mehrere Wochen in das tiefstliegende Gewässer der Welt. Durch das Salz des Toten Meeres werden die Gegenstände (Landau nennt sie konzeptuelle Readymades) allmählich von einer Kruste aus Salzkristallen umschlossen. Was dann wieder vorsichtig aus dem Meer herausgefischt wird, ist zerbrechlich schön. Die mirakulösen Skulpturen der Serie „Salt Years“ zeugen von Schmerz, Verfall, auch glamouröser Schönheit. Ihre neue Kruste wirkt wie Zucker oder Schnee. Landau thematisiert mit diesen Objekten die Verwandlung der Dinge, den Lauf der Geschichte und die Erinnerung auf eine höchst poetische Art und Weise.

„In meinen Arbeiten stellt das Tote Meer eine Reflexion dar. Einen Ort, der die Zeit in glamouröse Kristalle verwandelt und Salz – ein Element, das Leben bewahrt, heilt und ermöglicht, aber auch vergiften, konservieren und konstruieren kann – dient als mein Medium und Botschafter“, so die Künstlerin.

In Salzburg werden ihre Arbeiten an zwei Standorten ausgestellt, getrennt nach unterschiedlichen Werkgruppen: Auf dem Mönchsberg präsentiert das Museum die kristallinen Skulpturen als ortsspezifisch arrangierte Installationen. Im Rupertinum wird auf zwei Stockwerken eine Auswahl ihrer Videos über das Tote Meer und die Küste des Mittelmeeres präsentiert. Letztere kreisen um Fragen der Weiblichkeit ebenso wie um die politische Situation in Israel und die Bedrohung der Meere.

In einem dieser Videos erkennt man zahlreiche Wassermelonen an der Oberfläche des Toten Meeres treibend und eine Spirale formend innerhalb derer auch die Künstlerin zu sehen ist. Elegant schreibt sie mit ihrem Körper die Kreisform fort – und zeigt sich damit nicht nur ästhetisch, sondern auch buchstäblich in das große Ganze der Natur eingebunden.

Landau, Tochter jüdischer Immigranten, hat österreichische Wurzeln. „In Anbetracht der Geschichte und der Erinnerungen meiner Familie an Österreich freue ich mich überaus, meine Salzkristall-Skulpturen in Salzburg ausstellen zu können – einer Stadt, in der Salz ein wichtiger Teil der Geschichte war“, so Landau. Geboren und aufgewachsen ist die Künstlerin in Jerusalem, zwischenzeitlich lebte die Familie in Philadelphia und London. Ihr Studium absolvierte sie an der Bezalel Academy of Art and Design in Jerusalem. 2001 tourte ihr Werk nach New York, im MoMa war es 2008 zu sehen. 2011 repräsentierte sie ihr Land auf der 54. Biennale di Venezia, 2012  waren ihre Werke im SCAD Museum of Art in Savannah und 2014 im MACBA Museu d’Art Contemporani de Barcelona zu sehen. Damit ist die Künstlern international längst eine feste Größe im Ausstellungsbetrieb. Dem Kunstpublikum hierzulande wurde Sigalit Landau erstmals durch ihre Teilnahme an der documenta X (1997) in Kassel bekannt. In ihrem Portfolio, das 25 Jahre Schaffenszeit umfasst, finden sich Videoarbeiten, Installationen, Fotografien sowie die höchst sinnlichen Skulpturen.

Immer wieder im Mittelpunkt ihrer künstlerischen Praxis steht ihr eigener Körper – was schon mit ihrer Ausbildung zur Tänzerin beginnt. Darüber hinaus widmet sie sich dezidiert der Geschichte und Natur ihrer Heimat, nennt biblische und mythologische Erzählungen als Inspirationsquelle und die expressiv-figurativen Traditionen der Kunstgeschichte als ihre künstlerischen Wurzeln.

Die 1969 geborene, juvenile Frau mit den stahlblauen Augen, einem frechen, platinblonden Kurzhaarschnitt und dem warmen Lächeln auf den Lippen, schwärmt: Installationen zu kreieren, sei wie Welten erschaffen. So schön diese Welten für den Betrachter oder den schnellen YouTube-Nutzer anmuten mögen (auf YouTube wirken die Kurzberichte über ihr Schaffen wie Werbung für maritime Yoga- oder Wellness-Seminare) – das Tote Meer ist auch ein stinkendes, ein krankes Meer. Wund, nicht nur wunderschön ist die Welt darin.

Von den Wunden in Natur, Menschheitsgeschichte und Geschichte der Frau erzählen Sigalit Landaus Arbeiten unbedingt auch. „Barbend Hula“ beispielsweise ist ein Video-Loop, auf dem (es ist nur der Torso einer Frau am Strand erkennbar) eine Figur innerhalb eines Hulahoop-Reifens aus Stacheldraht ihre Hüften kreisen lässt. Das langsam bewegte Bild wirkt so sinnlich wie gewaltvoll. Der Bauch wird immer wunder, immer blutiger.

Solche Arbeiten bilden einen wichtigen Kontrast zu den funkelnden Skulpturen oder auch zu dem ästhetischen Video mit den Wassermelonen. Wer die Ausstellung besucht, wird begreifen, wie vielschichtig und ambivalent Landaus Gesamtwerk ist. Auf YouTube oder beim Anblick einiger ihrer Arbeiten im Internet entsteht schnell ein zu glatter, zu oberflächlich schöner Eindruck von ihrer Kunst.

Sigalit Landau wird u.a. von der Marlborough Gallery (London und New York) vertreten. Ihre Arbeiten kosten ab 6.000 Euro. Ein Print etwa der Performance mit den Melonen („Right Eye is Burning“, 2005, Color print, 40,5×72 cm, Signed on a certificate of authenticity on the reverse. Edition 2/9) wird in Auktionen (z.B. Montefiore Auction House, Tel Aviv) auf 6.000 bis 8.000 US-Dollar geschätzt. Die Salzskulptur „Joseph’s Violin“, 2011 (violin suspended in Dead Sea water), Unikat mit Zertifikat der Künstlerin, 11 x 56 x 21 cm, taxieren Experten am Sekundärmarkt (z.B. des Tiroche Auction House in Herzeliya Pituah, Israel) auf 12.000 bis 16.000 US-Dollar.

Die Ausstellung „Sigalit Landau – Salt Years“ startete am 6. Juli und ist noch bis 17. November 2019 zu sehen.

Museum der Moderne Salzburg, Mönchsberg 32, 5020 Salzburg

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