Die Neuen auf der Art Basel

2020-11-24T09:53:02+01:00exploring|

Gestern öffnete die Art Basel für ein breites Publikum, zuvor hatten nur VIPs und Presse Zutritt. Wir haben vor allem auf die 19 Galerien ein Auge geworfen, die in diesem Jahr erstmals an der weltweit wichtigsten Messe für zeitgenössische Kunst teilnehmen. Welche uns davon besonders beeindruckt haben und mit welchen Künstlern, lesen Sie hier.

Die Superreichen unter den Sammlern und die Schwergewichte unter den Galerien sind die zwei Seiten einer Medaille, wenn es um die Big Deals auf der Art Basel geht. Die Messe zählt zu den größten und heißesten Verkaufsevents im Branchenkalender. In ihrer 50. Ausgabe betont Messedirektor Marc Spiegel jedoch nicht die Superlative und Expansionspläne, er stellt ein neues Finanzierungsmodell vor: Gerade Galerien aus dem unteren und mittleren Segment sollen sich die zum Teil sehr kostspielige Teilnahme an der Messe (mit Preisen um die 100 000 Euro pro Stand) leisten können. In Anbetracht dessen, dass es Galerien am unteren Rand des Kunstmarkts in den vergangen Jahren schwer hatten und vom Aussterben bedroht sind, ist das ein Vorstoß in die richtige Richtung.

19 Galerien wurde, durch einen rabattierten Preis, die Teilnahme an der Art Basel heuer ermöglicht. Die Neuzugänge befinden sich im „Statements Sector“. Einige davon haben es uns besonders angetan. In ihrem Programm finden sich interessante, auch streitbare Positionen, eben keine Mitläufer. Es ist wichtig, dass das Geschäft mit der Kunst selbst an so kommerziellen Orten wie der Art Basel nicht zum Verflachen der Kunst führt. Denn auch wenn Sammler meist nach wandtauglichen Werken suchen, den Trend zur warenförmigen Kunst gilt es zu bremsen. Schließlich ist die Art Basel nicht nur eine Messe, sondern ein Ort, an dem Visionen sichtbar werden können: Etwa im Bereich „Unlimited“, wo großformatige, sperrige und elektronische Kunst schier zur musealen Präsentation gelangt.

Unsere Top 5der Neuzugänge

Barro Arte Contemporáneo aus Buenos Aires, Argentinien

Insbesondere den 1985 in Tucuman geborenen Gabriel Chaile sollte man sich im Programm der Galerie näher ansehen. Eindringlich, verschattet und wie eine neue Seherfahrung wirkt vor allem seine Foto-Performance mit seinem schwarzen Lamm Daniel. Darin und in seinen anderen Arbeiten verlinkt der in Buenos Aires lebende Künstler anthropologische und religiöse Themen mit einer subtilen Portion Humor und Poesie. Chaile absolvierte ein Kunststudium an der National University of Tucumán. In 2009 erhielt er ein Stipendium der Fundación YPF. Ein Jahr später nahm er an dem Kunstprogramm Lipac des Centro Cultural Ricardo Rojas teil. Zuletzt waren seine Arbeiten (darunter Skulpturen, Videos, Fotografien, etc) in Einzelausstellungen etwa im El Ondulatorio, La Rioja, in 2018 zu sehen; in der Galería Ruby, Buenos Aires, in 2017; im Museo de Arte Moderno, Buenos Aires, ebenfalls in 2017; An Gruppenausstellungen nahm er in Tucumán, Lima, Montevideo, Cuenca and Buenos Aires teil. In Europa zeigte man sein Werk bisher einzig in Paris.

Tommy Simoens aus Antwerpen, Belgien

Mit Bernd Lohaus vertritt die Galerie einen ehemaligen Schüler Joseph Beuys‘, den es schnell von Düsseldorf (Lohaus’ Geburtsstadt) nach Antwerpen zog. Kennzeichnend in seinem Werk ist der Gebrauch von Holzbrettern aus Antwerpens Fluss Scheldt, die der Künstler mit viel Bedacht auf Komposition und Formwirkung zu raumfüllenden Skulpturen und Installationen zusammenstellt. Daneben zählen auch zarte, minimalistische Papierarbeiten (u.a. Blumenaquarelle) zu seinem 40 Jahre umspannenden Schaffen. Lohaus, der 2010 verstorben ist, gab von 1964 bis 1965 zusammen mit anderen Künstlern die Zeitschrift Happening New heraus. 1975 nahm er an der Biennale von Paris teil. Seine Werke sind u.a. in folgenden öffentlichen Sammlungen vertreten: Fonds National d’Art Contemporain/ Paris, MARTa Herford, Museum van Hedendaagse Kunst/ Antwerpen, Musée d’Art Moderne/ Brüssel, Stedelijk Museum voor Actuele Kunst/ Gent.

Crèvecœur aus Paris und Marseilles, Frankreich

In der Galerie vertreten ist die derzeitige Senkrechtstartern Ad Minoliti – eine argentinische Künstlerin, deren Werke momentan u.a. auf der Hauptausstellung der Biennale für Aufsehen und dadurch auch für eine galoppierende Verbreitung in sozialen Medien sorgen. Kein Wunder: Die grellen Installationen und Objekte sind ein Blickfang: In ihrer Ästhetik erinnern sie an das Triadische Ballet Oskar Schlemmers, an Dada, aber auch an Paul Klees Amöben und die Farbpalette der Pop Art. Inhaltlich reichen sie jedoch tiefer und tauchen in ganz andere Schichten ab: Wer genauer hinsieht, erkennt in den verfremdeten Formen Frauenbeine und tränende Augen, Besen und Hexenhüte u.a. Minoliti ist eine dem Feminismus verschriebene Künstlerin. Doch ihre Arbeiten in diese Kategorie einzuschnüren, wäre zu kurz gegriffen. In der Installation „Mural“ (2019) (aktuell Teil der Ausstellung May You Live in Interesting Times, Giardini/Venedig) lassen gerade die beiden Katzenfiguren an neue Szenarien des Alltags denken: Werden Paare in ihrer Freizeit künftig in Cosplay-Kostüme schlüpfen – als Kick gegen die Langeweile? Egal ob Mann oder Frau? Minoliti hat an der National Academy of Fine Arts Prilidiano Pueyrredon, Argentinien studiert.  2003 bis 2006 veranstaltete sie, zusammen mit der argentinischen Künstlerin Diana Aisenberg, den Workshop „Art Clinic“. Von 2009 bis 2011 wirkte sie am Artistic Research Center of Buenos Aires (www.ciacentro.org).

Marfa’ Projects aus Beirut, Libanon

Eine ästhetisch sehr reduzierte und doch ungewöhnliche Position ist die Künstlerin und Architektin Saba Innab. Mit einem Bachelor von der Jordan University of Science and Technology gestaltet sie Kunst erwartungsgemäß wie urbanen Raum. Dafür verwendet sie vornehmlich Baureste mit hohem Wiedererkennungswert: Formen, die für eine bestimmte Zeit und Region in den Welt stehen. In Innabs Räumen werden diese jedoch zu neuen, zweckentfremdeten Bestandteilen von dreidimensionalen Kompositionen. Spannend: Je nach Perspektive ergeben sich in ihren Installationen stets variierende Linien und Fluchten im Raum. Und durch Titel wie „Then We Realized, Time Is Stone“ erhalten die scheinbar kalten Pfeiler und Fassadenverzierungen aus Beton eine poetische Note. Innabs Arbeiten wurden jüngst auf der Marrakech Biennale 6 (2016) und im Museum of Modern Art in Warsaw (Lest the two Seas Meet, 2015) ausgestellt. Zu ihren Solo-Shows zählen etwa No-sheep’s Land in der Agial Gallery in Beirut (2011) und On-longing im Darat al Funun in Amman (2012). Als Architektin wirkte die 1980 in Kuweit Geborene (in Zusammenarbeit mit dem Studio UNRWA) an der Rekonstruktion des Nahr el Bared Camp im Norden Lebanons mit. Das Projekt wurde 2013 für den Aga Khan Award for Architecture in 2013 nominiert.

SpazioA aus Pistoia, Italien

Ob an der Meeresküste in der Punta San Nicola (auf der Insel Favignana/Sizilien) oder im Ausstellungsraum einer Galerie, Giulia Cenci stellt ihre Skulpturen überall hin. Und überall verströmen sie eine Art archaische Kraft. Man meint sogar, sie prähistorisch kreischen zu hören. Denn oftmals wirkt die eingefrorene Bewegung der Plastiken, als würde sich da etwas winden oder auseinander gezogen werden. Dabei sind Cencis Hybride gar nicht so prämondial wie sie aussehen. Sie bestehen aus Resten unserer Gegenwart: Schläuchen, Kabeln und viel Masse dazwischen (u.a. Ton und Erde), die diesen Abfall zusammenhält. Die 1988 in Cortona, Italien, geborene und heute in Amsterdam lebende Künstlerin hat an der Academy of Fine Arts in Bologna studiert (2007-2012), ihren Master of Fine Arts an der St.Joost Academy, Den Bosch-Breda, erhalten (2013-2015) und zeitgleich an der „deAteliers residency“ teilgenommen (2015-2017). Solo-Shows wurden ihr u.a. ausgerichtet: im Carreras Mugica (Bilbao, 2017), im ViaFarini (Mailand, 2017), im Tile Projectspace (Mailand, 2014/15)

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