Im Jahr 1944 vereinten sich die Benelux-Staaten zu einer Zollunion. Mit dem Eintritt in die EU ist dieses Bündnis hinfällig geworden. Und doch eint Luxemburg, Brüssel und Amsterdam immer noch viel – zum Beispiel der Hang zum großen Stil.
Man braucht nur die Grenze zwischen Deutschland und Luxemburg zu passieren und begegnet einem gänzlich anderen Lifestyle. Sicher, Luxemburg zählt zu den Ländern mit dem höchsten Pro-Kopf Einkommen, aber darum (allein) geht es nicht. In Luxemburg ist man nicht einfach reicher. Man ist edler. Selbst der schnoddrige Alltag wirkt um einen Hauch eleganter: Man beobachte etwa das Bild der sich zum Lunch treffenden Angestellten, wie sie sich draußen in den Bistros versammeln: Wenn weiblich, tänzeln sie in klassischen, nicht zu hohen Pumps über das Kopfsteinpflaster, als hätten sie Ballerinas an. In Deutschland dagegen zieht Frau den bequemen Schuh vor – im Alltag sowieso, manche sogar in der Oper. Und die Herren? Sie gleichen eher den Italienern, mit ihren adretten Anzügen, die eng anliegen, statt so locker zu schlabbern wie mancherorts in Deutschland immer noch häufig anzutreffen. Kurz: Luxemburg ist und hat Klasse.
Kunst in Benelux
Warum sonst würden die Menschen dort vier Euro für eine Kugel Eis ausgeben? Bei der traditionsreichen französischen Nobel-Konditorkette Ladurée in der Rue des Capucins kostet ein Bällchen fast das Dreifache des Durchschnittspreises hierzulande. Aber dieses Eis ist kein gewöhnliches. Es ist ein Gedicht, insbesondere in der Geschmacksrichtung Rose oder Maron Glacée. Zudem wird es wie eine Skulptur auf einem Tablett zum Kunden gebracht, von einer adretten Verkäuferin, die damit eine Wendeltreppe hinabsteigt und das Eis galant aus der Halterung befreit und mit einem Lächeln dem Kunden überreicht. Was für ein Moment! Sicher, eine einfache Kugel hätte auch genügt, um sich eine kleine Abkühlung und Gaumenfreude zu gönnen. Aber wie die Frauen auf den Pumps tänzeln, statt zu stampfen, und die Männer in ihren Anzügen posieren, statt zu schwimmen, so will sich hier eben auch das Eis von seiner besten Seite zeigen. Kurz: Wohin man schaut, das Schöne scheint noch schöner. Gewiss: Es gibt auch schmuddelige Ecken. Es ist längst nicht alles durch und durch sauber und salonfähig in dieser Stadt. Darum geht es nicht. Was zählt und auffällt: Wo Ästheten walten, geben sie sich mit dem Einfachen selten zufrieden. Sie bevorzugen das Kunstvolle.
Kunstszene in Luxemburg
Ein Muss für den Kunstliebhaber ist in Luxemburg ein Besuch des Mudam und des Casino Luxembourg. Ersteres ist das größte und schon der Architektur wegen imposanteste Kunstmuseum der Stadt. Dazu schön im Grünen gelegen. Letzteres, ein ehemaliges Casino, befindet sich mitten in der Altstadt. Hier stellen junge und angesagte Künstler aus, wie etwa Marco Godinho, der auch den Luxemburgischen Pavillon auf der Biennale in Venedig bespielen durfte. Dafür versah er einige Räume im Arsenale mit suggestiven Videos und mit einer Installation aus zahlreichen, vom Meer umspülten Notizbüchern, die er etwa in Lampedusa, Beirut und Marseille mit Skizzen füllte und dann ins Wasser hielt („Written by Water“). Das Casino Luxembourg ist eine führende Einrichtung für Gegenwartskunst. Neben Ausstellungshäusern wie diesem und klassischen Museen sei dem Entdecker unbedingt auch die Luxembourg Art Week empfohlen – zumal sie als Geheimtipp gilt und gleichsam immer größere Popularität in der Kunstszene erfährt. Alljährlich laden in der ersten November-Woche und damit zeitgleich zu dieser Messe die wichtigsten Galerien der Stadt zu Vernissagen und Events ein. Besonders aufgefallen ist der Autorin dieses Textes die Galerie Zidoun-Bossuyt, die ihren Fokus auf das Schaffen afroamerikanischer Künstler legt und in vielen Fällen als dessen einzige Galerievertretung in Europa auftritt. Luxemburg ist eben weltoffen. Hier begegnet man dem Multikulti nicht nur als Slogan. Die Internationalität ist allgegenwärtig, schon im Gebrauch der drei amtlichen Sprachen (Luxemburgisch, Französisch, Deutsch) und im Switchen zwischen ihnen. Außerdem hört man auf den Spielplätzen und in den Parks noch viele andere: etwa Englisch, Spanisch, Italienisch, Polnisch oder Portugiesisch.
Brüssels Virtuosen
Weltgewandtheit ist auch in Brüssel spürbar. Und hier liebt man ebenfalls schöne Dinge, gutes Essen, Kunst. Dabei bedeutet diese Offenheit gegenüber der Welt nicht, dass die hiesigen Sammler jedem international grassierenden Hype hinterherjagen. Das gewiss nicht. Sie haben einen ausgeprägten eigenen Geschmack, der sich dank Generationen von Sammlungen herausgebildet hat und den sie im Wechselspiel mit den internationalen Einflüssen weiterentwickeln. Streift man in der Stadt umher, zeugen schon die vielen Antiquitätenläden von der alten Liebe zu Kunst und Kunsthandwerk. Man pfeift hier seit Jahrzehnten auf Utilitarismus und leistet sich stattdessen mit Hingabe Objekte, die nutzlos auf einem Sims Staub fangen und mit Freude weitervererbt werden. Manches davon ist kostbar, anderes sündhaft teuer, wieder anderes nur Nippes. Fakt ist aber, die Anziehung von Artefakten scheint groß und getrieben von einer Lust am Luxus.
Die Autorin war zu Gast bei ein paar Brüsseler Sammlern und staunte nicht schlecht, ob ihrer Extravaganz – auch im Exponieren der Sammlungsstücke: Es gab beispielsweise einen Herren, dessen Wohnzimmer ein perfekt abgestimmtes Ensemble aus Marmor, Lackmöbeln und Kunst war: Seine Skulpturensammlung etwa hatte der Ästhet wirkungsvoll mit dem glänzenden Schwarz seines Sideboards kontrastieren lassen. Die Figuren mit ihren unterschiedlichen Oberflächenstrukturen standen dort in ganz bestimmten Abständen zueinander und präsentierten, glorreich beleuchtet und mit einem imposanten Schattenwurf, jede für sich ihre Einzigartigkeit: in Form, Material, Herkunft. Es waren so kostbare Collectibles wie die „Nike“ von Yves Klein, Bronzen von Brancusi und archäologische Fundstücke.
Bei einem anderen Sammler indes sorgte ein riesiges illusionistisches Wandgemälde für den Wow-Effekt: Die Figuren darauf waren wie griechische Götter gekleidet, ganz am Rand der einstige Besitzer des Hauses erkennbar. Der Autorin war spätestens in diesem Moment klar: Die Brüsseler Sammler leben keinen allgemein austauschbaren Stil von „Schöner Wohnen“ – mit hier und da ein bisschen Kunst. Ihre Häuser sind wahre Kunsttempel, ihre Liebe zur Kunst tief in der DNA ihrer Wohnräume. So wundert es auch nicht, dass Kunstmessen wie die BRAFA hier gut gedeihen: Wo römische Büsten neben Keith-Haring-Sofas stehen. Wo die zeitgenössische Kunst ebenso wie das Kunsthandwerk und die Artefakte der Archäologie nebeneinander um die Gunst der Sammler buhlen. Hauptsache, die Qualität stimmt. Wer außerhalb der Messetage (26. Januar bis 2. Februar 2020) Brüssel besucht, sollte zumindest einen Streifzug entlang der Antiquitätenläden und Goldschmieden im schönen Viertel Sablon einplanen. Und selbstverständlich einen längeren Besuch der Königlichen Museen der Schönen Künste am Place Royale. Neben dem dortigen Magritte-Museum sei in unmittelbarer Nachbarschaft das Museum für Alte Kunst und das Museum für Moderne Kunst empfohlen, wo man übrigens auf einen ganz anderen Impressionismus stößt als den allgemein verbreiteten französischen.
Amsterdams Luxus für alle
Als calvinistisch geprägte Nation sind die Niederlande weniger dem Luxus verschrieben, hat dort das Streben nach unnützen Kostbarkeiten keine lange Tradition. Und doch zählt heute Amsterdams Kunstszene zu einer der beliebtesten weltweit. Das liegt vornehmlich an den Museen. Es sind hier keine verstaubten, schwer zu manövrierenden Tanker. Es sind großartig geführte Unternehmen: In Holland – als eines der wenigen Länder Europas – muss der Leiter eines Museums nicht zwangsweise Doktor oder Professor, er muss ein guter Manager und Macher, ein Visionär sein. Was zählt, sind Ideen, Innovationen, der Besucher. So genießt in Amsterdam den größten Luxus in Sachen Kunst der gewöhnliche Bürger. Jüngstes Beispiel: Das Rijksmuseum ist europaweit das erste Museum, das eine Multimedia-Tour für Taubstumme anbietet. Und man hört hier nicht auf, das Sammlungserlebnis weiterzuentwickeln und mit ständig neuen Strategien immer mehr Besucher anzuziehen. Der Eintritt soll sich auszahlen. Gleichsam findet nirgendwo sonst als in den Niederlanden die größte Messe für Alte Kunst statt: die TEFAF in Maastricht.
Der Handel war und ist den Holländern ebenso wichtig wie der Zugang zu großen Kunstschätzen. Auch interessant aber etwas weniger bekannt – zudem direkt in Amsterdam ansässig – ist die Messe PAN. Sie findet vom 24. November bis 1. Dezember 2019 statt. Gegründet haben sie sechs Kunst- und Antiquitätenhändler im Jahr 1987, als Amsterdam (als dritte Stadt in der Geschichte) Europäische Kulturhauptstadt wurde.
MESSE-TIPPS
Luxembourg Art Week
Die Verkaufsschau in der Victor-Hugo-Halle besteht aus zwei Plattformen: In den „Positions“ zeigen um die 30 renommierte Galerien aus verschiedenen Ländern (Luxemburg, Deutschland, Frankreich, Belgien, Italien, Österreich) ihre Arbeiten; „Take Off“ bietet eine Auswahl von Werken, die 3000 Euro nicht überschreiten.
Die Adresse für junge Sammler und kleinere Budgets.
www.luxembourgartweek.lu (November 2020)
BRAFA Art Fair
Die BRAFA zeichnet sich nicht nur durch eine sympathische und sehr elegante Atmosphäre aus, sie widmet sich der Kunst in ihrer ganzen Vielfalt. Archäologische Artefakte werden hier neben Designobjekten und Contemporary Art zum Verkauf angeboten. Jedes Jahr wird zudem eine Sonderausstellung von einem Ehrengast ausgerichtet – einem bedeutendem Museum, einer Kultureinrichtung oder einem Künstler.
www.brafa.art (26. Januar bis 2. Februar 2020)
PAN Amsterdam
Die PAN ist eine Messe mit einem umfangreichen Sortiment an Gemälden, Antiquitäten, moderner und zeitgenössischer Kunst, Schmuck und Fotografien sowie Designmöbeln und Objekten aus alten und fernen Kulturen. Sie findet im Messezentrum RAI statt und zählt mit bis zu 50 000 Besuchern zu den größeren Veranstaltungen dieser Art.
www.pan.nl (24. November bis 1. Dezember 2019)